Plötzlich ist ihre Freundin weg und sie sitzen zu zweit auf dem Sofa. Er beugt sich zu ihr rüber. Eine Hand hinter ihrem Rücken auf die Lehne gelegt, die andere stützt er auf dem Tisch vor ihnen ab. Ganz langsam nähert er sich ihrem Hals und flüstert ihr zu: „Ich würde dich gern mit zu mir nehmen.“ Sie kann seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Seine Lippen berühren nur ihre feinen Härchen, aber ihr ganzer Körper reagiert sofort darauf. Heiße Wellen durchziehen ihren Körper. Sie ist unfähig sich zu bewegen. Es fühlt sich so gut an und irgendwie will sie es auch. Sehr sogar. Aber …
„Ich genieße deine Gesellschaft gerade sehr und es fühlt sich auch richtig gut an. Aber“, teilt sie ihm ehrlich mit und versucht einzuwenden „ich habe einen Freund.“ bringt sie in einem heiseren Flüsterton raus.
Ein Versuch.
Irgendwie musste sie es wenigstens versuchen ihm zu widerstehen. Aber es fühlt sich so gut an und eigentlich will sie nicht, dass es aufhört.
Sie war bewegungsunfähig. Handlungs – un – fähig. Sie wollte dieses Gefühl so gerne behalten.
In dem Moment, als er ihren gescheiterten Versuch des Protestes mit einem ruhigen Durchatmen quittierte und seine Hand unter ihre Beine und an ihren Rücken legen wollte, um sie hochzuheben und wirklich zu sich mit zu nehmen, wird ihr klar:
Sie will das gar nicht! Sie will so nicht behandelt werden.
Nicht so!
Ihre Handlungsunfähigkeit lähmt ihren Körper.
Das Bild hält an und sie hat Zeit zu überlegen.
Was ist hier los? Fragt sie sich. Sie merkt genau, dass sie das nicht wollte. Aber sie war auch nicht in der Lage etwas dagegen zu tun. Sie WILL gar nichts dagegen tun. Warum will sie denn nichts tun, wenn sie es doch eigentlich nicht will?
Sie wird begehrt. Dieser Mann will sie. Und sie verzehrt sich nach dem Gefühl, gewollt zu werden. Oh, wie sehr sie dieses Gefühl kannte. Zuneigung, auf die einzige Art, wie sie sie früher bekommen hatte. Er wollte sie auch immer so. Seit ihrer frühen Kindheit kannte sie es. Und sie wollte sich nicht wehren. Wenn sie sich gewehrt hätte, wenn sie abgelehnt hätte – und sie wusste, das hätte sie gedurft – dann hätte er ihr keine Liebe mehr gegeben. Die Art der Aufdringlichkeit war ihre erlebte Liebe. Und jetzt erkannte sie das Muster dahinter. Die Handlungsunfähigkeit war die stille Zustimmung für diese Art der Liebe, obwohl sie es nicht wollte.
Doch jetzt ist sie kein Kind mehr. Und sie kann es in ihrem Körper spüren, dass da keine Angst ist. Keine Panik, wie früher. Sie konnte ziemlich gut denken und überlegte in der Stille des Bildes, was sie tun kann.
„Kannst du mir mal nicht so auf die Pelle rücken?“, war das Erste, was ihr in den Kopf kam.
Die Worte waren da. Aber der Körper reagierte noch nicht. Sie konnte nicht spüren, mit welcher Energie sie das sagen würde. Die pure Ablehnung erschien ihr zu hart. Denn er war sehr sympathisch und sie wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen.
Ihr Muster.
Nein, sie darf nicht ablehnen. Denn dann geht er. Dann lässt er sie alleine. Und das Gefühl gewollt zu sein, verschwindet gleich mit ihm.
Sie beobachtete noch immer die pausierte Szene und sah alles Glas klar vor sich.
Er wollte sie. Warum auch immer. Das war erstmal nebensächlich. Denn sie wusste: So, wie er auf sie zuging, will sie es absolut nicht. Der Einwand, dass sie vergeben war, war ein Versuch ihm eine Grenze zu setzen. Es erschien ihr leichter, als „Ich will das so nicht.“
Sie atmet durch. Das Herz klopft. „Ich bin gar nicht bei mir“, erkennt sie nun. Und ganz langsam bewegt sich das Bild wieder. Wie wäre es denn, wenn sie bei sich wäre? Wenn sie nicht in der Vergangenheit nach Gründen für ihr heutiges Verhalten sucht, sondern nur spürt, was gerade ist.
Der Hunger nach Liebe verschwindet. Denn sie liebt sich jetzt selbst mit jedem Atemzug mehr. Sie braucht die Zuneigung dieses Mannes nicht mehr. Sie ist nicht von ihm abhängig.
Und überhaupt, wie benimmt er sich eigentlich? Er ist aufdringlich und von sich selbst so sehr überzeugt, dass er jegliche Demut in der Begegnung vermissen lässt. Er hat keine Achtung vor ihr. Er hat auch keine Achtung vor sich selbst. Aber er ist auch nicht unhöflich oder gewalttätig. Und sie sieht, dass genau das das Problem an der Situation ist. Würde er zu grob oder zu forsch sein, würde sie ihm eher eine Grenze setzen können. Aber da er einfach nett und zärtlich ist, würde ihre Grenze vielleicht als unangemessen hart erscheinen. Da kam die Starre ins Spiel. Eigentlich wollte sie Nein sagen. Aber sie war davon überzeugt, dass sie nicht das Recht dazu hatte.
Jetzt sieht und fühlt sie, dass sie sehr wohl das Recht dazu hat. Sie darf Nein sagen, wenn sie sich nicht wohl genug fühlt. Sie darf alles tun, was ihr gut tut und muss dabei keine falsche Rücksicht auf Gefühle anderer nehmen. Hier geht es um sie!
Sie dreht sich leicht zu ihm, sieht ihm direkt in die Augen, legt die Hand auf seine Brust, schiebt ihn sanft aber bestimmt ein Stück von sich weg und sagt mit ruhiger klarer Stimme:
„Ich will das nicht.“
Das Bild verblasst im Nebel des Erwachens. Der Traum ist vorbei. Sie ist wach und reich an Erkenntnissen.
Jedes Mal, wenn sich ein Mann für sie interessiert hatte, handelte sie nach dem selben Muster. Sie hatte die Männer nicht abgelehnt. Im Gegenteil. Da war endlich jemand, der sie liebte und dieses Gefühl wollte sie um jeden Preis behalten. Deshalb ging sie von einer Beziehung zur nächsten. Deshalb war sie so unglücklich. Deshalb hatte sie keine Lebensfreude. Es war der Hunger nach Liebe, den sie versucht hatte durch andere zu stillen.
Und jetzt?
Jetzt kommt sie bei sich selbst an … und verliebt sich jeden Tag mehr …
in sich selbst.